Vom trockenen Süden bis hinauf an die grüne Nordküste erstreckt sich die TF-28, einst wichtige Verbindungsstraße der Ostküste, die die beiden Seiten Teneriffas direkt miteinander verband. Doch dann wurde in Küstennähe die Autobahn gebaut und die alte Straße geriet in Vergessenheit – und mit ihr auch die Ostküste selbst. Auf den ersten Blick erscheint das wenig überraschend, denn böse Zungen behaupten, dieser Teil sei nicht unbedingt die Schokoladenseite der Insel. Doch wer den Osten allein auf seine trocken-staubigen und vulkanischen Mondlandschaften reduziert, tut ihm Unrecht: Entlang der alten Landstraße wird die karge Kulisse immer wieder unterbrochen von abgelegenen Bergdörfern mit spannender Geschichte, duftenden Kiefernwäldern und felsigen Klippen, die die Buchten und Küstenorte umgeben. Allesamt laden sie Vorbeireisende ein, einen unverstellten Blick auf das Leben der Kanaren zu werfen, auch weil hier der Alltag noch nicht alles von seiner Ursprünglichkeit eingebüßt hat.
Mit dem Mietwagen auf Teneriffas vergessener Straße führt dieser Trip die Ostküste hinauf vorbei am höchstem Berg Spaniens, dem Teide. Südlicher Ausgangspunkt ist der Küstenort Los Cristianos, an dessen oberen Ende sich die TF-28 bis zum Mirador de La Centinela fortsetzt.
Autovermietung teneriffaRund 25 Minuten dauert die Fahrt bis nach San Miguel de Abona, der ersten Station der Route. Die Wurzeln des Ortes reichen zurück bis zu den Guanchen, den ersten Bewohnern Teneriffas. Auf deren Spuren begab sich etwa der in San Miguel geborene Arzt und Historiker Juan Béthencourt Alfonso, der Zeit seines Lebens den Alltag, die Sprache und Traditionen auf der Insel erforschte. In dem unscheinbaren Örtchen, das sich an den Berghang des Montaña del Pozo schmiegt, rahmen heute die typischen weiß verputzten Häuser die Straßen. In der Mitte erhebt sich zwischen Lorbeerbäumen die dem Erzengel Michael gewidmete Kirche Iglesia Parroquial de San Miguel. Während in den Morgenstunden geschäftiges Treiben auf den Straßen herrscht, kehrt am Nachmittag Ruhe in den alten Gassen ein.
Am oberen Ende des Dorfes ist das Gelände etwas unstet und geprägt von den typischen tinerfeñischen Vulkankegeln. Lange Schluchten schieben sich von hier bis zur Küste hinunter, wo beängstigend hohe Steilklippen emporragen und kleine Strände mit Kieselsteinen und schwarzem Sand umbinden. Um das Dorf herum wird neben Obst, Gemüse und Getreide auch Wein angebaut. Durch die Anbaugebiete hindurch geht es mit dem Mietwagen weiter auf Teneriffas einsamer TF-28 nach Granadilla de Abona unweit des Teide Naturparks. Pastellfarbene Häuser mit holzgeschnitzten Balkonen säumen die gepflasterten Straßen und an der langgestreckten Plaza Gonzáles Mena tummeln sich die Einheimischen unter den schattenspendenden Bäumen zum Tratsch. Hinter Granadilla geht es in schwungvollen Kurven durchs Bergpanorama in die Arico-Region, die als eine der letzten ursprünglichen Regionen Teneriffas gilt. Vom Atlantik aus erstreckt sie sich bis zum 2.524 Meter hohen Roque de la Grieta.
Etwas versteckt nahe der TF-28 liegt die kleine Gemeinde Arico el Nuevo – ganz klassisch angelegt mit einer Plaza als zentralem Treffpunkt, wo die ältere Bevölkerung die Tage verdöst, und um die herum sich zahlreiche verwinkelte Gassen ziehen. An der Plaza stehen vor einem rund 200 Jahre alten Gebäude ein paar kleine Holztische, an denen die Gäste kanarische Weine zu internationaler Küche nippen. Das Landhaus wurde vor einigen Jahren in mühevoller Arbeit in ein kuschliges Restaurant umgewandelt, die „Tasquita El Pimentón“. Entlang der Gassen rund um die Plaza reihen sich wie vielerorts in Spanien die traditionellen weißen Häuser, hier allerdings in einem schlichteren Gewand und mit sonnengebleichten Holztüren und Fenstern. Dazwischen blitzt herrschaftlich eine Ansammlung alter Stadtvillen hervor.
Von Arico aus windet sich die Landstraße vorbei an stillliegenden Dörfern wie dem Weiler Icor – ein fast menschenleerer Ort mit schiefen, roten Ziegeldächern und ummauerten Innenhöfen auf einem windigen, trockenen Bergrücken – bis irgendwann in der Ferne Fasnia auftaucht.
Vor dem Eroberungszug Spaniens vor 300 Jahren lebten in den Höhlen von Herques bei Fasnia die Guanchen. Heute ist das 450 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Küstenörtchen rundum spanisch geprägt: Häuser im altkanarischen Stil mit weißen, schmuckvollen Fassaden und kleinen Holzfenstern, von kleinen Mauern umgebene Vorgärten mit Bougainvillen und von hochgewachsenen Palmen und blühenden Büschen gesäumte Wege, die sich durch den Ort schlängeln. Die Einwohner von Fasnia wissen noch, wie man den Danza de las cintas tanzt. Und vor der Uferpromenade unterhalb des Dorfes legen wie in vergangenen Zeiten bunte Fischerboote an. Hier hat man einen wunderbaren Blick auf die farbenfrohen Schirme der Paraglider, die sich vom Vulkankegel des Montaña de Fasnia startend vom Wind hinunter ins Tal tragen lassen.
1705 wäre das Örtchen fast von der Landkarte Teneriffas verschwunden, als der Montaña de Fasnia die umgebenden Landzüge mit Lava und Asche überschüttete. Doch kurz vor Fasina stoppten die heißen Massen – an dieser Stelle erinnert heute eine kleine weiße Kapelle namens Nuestra Señora de los Dolobres daran.
Weiter geht es an der Ostküste durch Tunnel und über Brücken bis ins Valle de Güímar, wo auch die gleichnamige Stadt – eine der ältesten der Insel – liegt. Bekannter sind allerdings die rätselhaften Pyramiden im Güímar-Tal: Aufgeschichtete, dunkle Steine in Pyramidenform ragen über dem spärlich wachsenden Gras inmitten der felsig-braunen Berglandschaft gen Himmel. Lange Zeit wurden die Stufenpyramiden als merkwürdige Steinhaufen abgetan, bis 1990 der norwegische Abenteurer und Forscher Thor Heyerdahl öffentlich Theorien über ihre Ursprünge anstellte. Ihm zufolge wurden die Steinformationen von antiken Zivilisationen lange vor der Zeit der großen spanischen Entdeckungsfahrten errichtet. Allerdings gibt es auch Hinweise, wonach die Pyramiden erst im 19. Jahrhundert aus ganz praktischen Gründen entstanden: Bauern sollen jene Steine zu Pyramiden aufgestapelt haben, die ihnen bei der Arbeit auf den Feldern im Weg lagen.
Bevor sich die Spur der TF-28 an der Nordostküste zwischen kleinen Fischerorten verliert, führt sie vorbei an einer charmanten und wohl weniger bekannten Gemeinde der Insel: Zwischen Güíma und Candelaria schlummernd vor der imposanten grünen Berglandschaft der Cañadas das Örtchen Arafo. Mit seinen leuchtend weißen Häusern, den mit Geranien geschmückten Balkonen und einem von Lorbeerbäumen umzogenen Kirchplatz mit klassischer Pavillonbar zieht sich Arafo steil den Hang hinauf. Von oben bietet sich ein wunderbarer Weitblick über die roten Dächer hinweg bis hinunter zum Atlantik. Arafo gilt als musikalischstes Dorf der Insel –auf dem Weg zur Dorfmitte passiert man das Konservatorium, wo regelmäßig klassische Konzerte und Volksmusikfestivals veranstaltet werden. In dem Küstenort soll es mehr Musiker als Kanaren geben.
Wer das Glück hat, im Frühling die alte Bergstraße nach Arafo entlang zu touren, dessen Fahrt wird von leuchtend-gelbem Leuchtmohn versüßt, der zu dieser Jahreszeit an den Straßenrändern wie wild um die Wette blüht.